Montag, 28. Dezember 2009

Trucker-Weihnachten II


Vom Bahnhof brauchte er nur gerade fünfzehn Minuten zu Fuss, er war zum neunzehnten Mal hier und kannte den Weg blind. Naja, eigentlich war es das zwanzigste Mal, aber das erste Mal zählte nicht. Zwanzig lange Jahre ist das nun her. Was wäre wohl, wenn alles nicht geschehen wäre? Vielleicht hätten sie bereits erwachsene Kinder? Oder zumindest pubertierende? Wäre er immer noch Trucker, oder würde er Weihnachten als Bürogummi geniessen können, so wie es ihm sein Chef damals etwas ironisch vorschlug? Hätte. Wäre. Würde. Scheisse, es ändert nichts.

Der Chef schickte ihn am 23. Dezember unverhofft nach Norddeutschland, um Meeresdelikatessen zu laden. "Die Fische beissen auch über die Feiertage und die Nachfrage ist umso grösser! Also pack Dich in den LKW oder such' Dir nen Job im Büro!" Tja, was will man da machen, mitten in der Asienkrise... Seine neue, heissgeliebte Freundin zog alle Register, damit sie über Weihnachten im Truck mitfahren konnte. Erklärte der Familie, dass sie längstens zwanzig Jahre alt gewesen sei, dass man Weihnachten nachholen würde und dass ihr Freund sonst die traurigsten Weihnachten seines Lebens haben würde.

Man erreichte die Spedition am 24. Dezember kurz nach 16.00, also kurz nach Dienstschluss. Ein Hausmeister war gerade am Abschliessen und brummte unfreundlich, man solle halt rechtzeitig kommen. Der Magaziner, der am nächsten Tag keine Wahl hatte, als die Ware herauszugeben (weil sie sonst möglicherweise verdorben wäre) war sehr kreativ mit Schimpfwörtern, und seiner Meinung nach waren Trucker eh die letzten Idioten auf der Welt. Schliesslich wisse man, dass an Feiertagen mehr Verkehr herrsche, da fahre man auch früher ab, schon am 22.! Und überhaupt, jetzt hätte er extra noch einmal in die Spedition fahren müssen, wo er doch Weihnachten mit seiner Familie verbringen wolle! Und überhaupt, was die Tusse so blöd auf der Rampe rumstehe!

Es war der 25. Dezember, spätabends, der Trucker missachtete sämtliche Ruhezeitengesetze, als sie sich während der Fahrt schöne Weihnachten wünschten und Geschenke austauschten. Und gegen die Müdigkeit trank er Whisky, dazwischen ein Bier, dann wieder einen Whisky. Nicht viel, nicht mehr als Trucker damals üblicherweise tranken. Nur dass diese normalerweise zwischendurch mal etwas assen...

Nach der Schweizergrenze dann das Glatteis. Er sah im rechten Rückspiegel, wie der Auflieger sich querstellte und im Begriff war, die Zugmaschine zu überholen. Ein altes Problem bei Sattelschleppern. Und er machte genau das Verkehrte: Statt den Retarder zu lösen und Gas zu geben, stieg er in die Eisen. Einen Bruchteil einer Sekunde sah er die wunderschönen, schockierten blauen Augen seiner Geliebten, dann ihr Blut.

Sie verstarb noch auf der Unfallstelle. Er wurde mehr oder weniger unverletzt aus dem Wrack geschnitten. Von einer Untersuchung im Spital bekam er nichts mit, seine 2,19 gemessenen Promille hatten den Körper erst in der Zelle verlassen.

Er hatte die Stelle erreicht. Es war nichts mehr zu sehen, der Asphalt wurde in der Zwischenzeit schon zweimal erneuert, die Leitplanken dreimal, das erste Mal auf seine Kosten. Er lehnte sich dagegen, beobachtete eine Weile den Verkehr, und legte dann die mitgebrachten Blumen auf den Boden. Dann holte er ein zerknautschtes, verbogenes Namenschild mit der Aufschrift "Melanie" aus seinem abgewetzten Rucksack und legte es neben die Blumen. Eine Weile drehte er am Ring an seinem Finger. Das Gegenstück hatte er ihr in jener Nacht auf der Heimfahrt geschenkt. Letztlich holte er noch eine Flasche Wodka aus dem Rucksack, setzte sie an und leerte sie fast in einem Zug.

Schon wieder ein Rückfall. Wie jedes Jahr. Aber vielleicht waren die Typen aus der Psychiatrie dieses Jahr gnädig und würden ihn endlich erst dann finden, wenn er am Rand der Autobahn erfroren ist.

Klar, die Geschichte entsprang meiner Phantasie. Klar ist aber auch, dass noch heute tausende Trucker über die Feiertage fern von ihren Familien unterwegs sind, und zwar auf Druck ihrer Chefs. Und als Dankeschön von Freizeitverkehr und Speditionen noch zusätzlich schikaniert werden. Ihnen allen sei diese Geschichte gewidmet, auf dass sie niemals in die Situation unseres fiktiven Truckers kommen mögen!

Guten Rutsch ins neue Jahr!

Freitag, 18. Dezember 2009

Das Eco-Drive-Programm


Wie ich in diesem Blog hin und wieder erwähnte, sind wir Berufsfahrer gesetztlich verpflichtet, eine gewisse Anzahl Weiterbildungen zu absolvieren, um die Genehmigung für gewerbliche Transporte (seien es nun Güter oder Personen) beibehalten zu können. Welche Weiterbildung der Trucker nun besucht, ist ihm selbst überlassen, sofern der Kurs vom ASTRA anerkannt ist.

Neulich hatte ich das Vergügen, an einem Eco-Drive-Kurs teilnehmen zu dürfen. Ich habe schon unzählige Weiterbildungskurse auf dem krummen Buckel und ich darf ruhigen Gewissens an dieser Stelle schriftlich festhalten: Noch nie hat mich ein Kurs derart beeindruckt und überzeugt wie eben besagtes Eco-Drive-Training.

Wieso? Nun, fangen wir mal ganz am Anfang an. Für was steht das "Eco"? Da es englisch geschrieben ist, könnte es sowohl für "Economic-Drive" als auch für "Ecologic-Drive" stehen. Vergessen Sie letzteres. Ökologisch fahren geht gar nicht. Selbst Hybride husten Abgase raus, und wenn sie gerade mit Elektrizität laufen, darf man sich getrost mal fragen, woher der gegenwärtige Saft eigentlich kommt. Aber alles halb so schlimm: Der Anteil des Strassenverkehrs am weltweiten CO2-Aussstoss beträgt gerade mal 0,4%. Um dieses ach so schreckliche Gas zu stoppen, müsste Moritz Leuenberger weltweit die Vulkane verbieten. Allerdings würde uns die dadurch gerettete Erde ziemlich schnell um die Ohren fliegen, weil dann die Überdruckventile des Erdinneren fehlen würden. Der nicht ganz glorreiche Moritz wird dies wohl auch aus einem anderen Grund nicht tun: Woraus lässt sich mehr politisches Kaptial - sprich handfeste Knete - schlagen als beim Bashing des Strassenverkehrs? Die Deppen Autofahrer und Fuhrhalter eignen sich über die Moralkeule CO2 immer wieder bestens als Milchkühe. (Für letztere könnte man doch auch eine Methan-Steuer erheben, oder? Man könnte sie doch Kuhfurzsteuer nennen, Moritz!)

Also geht's ums Ökonomische. Ehrlich gesagt, wir Trucker werden es nie schaffen, die Athmosphäre ultimativ zu vergiften. Aber die Ressourcen an fossilen Brennstoffen sind beschränkt und werden immer knapper. Und umso knapper die werden, umso höher schrauben die Kameltreiber die Ölpreise. Was der Weltwirtschaft immensen Schaden zufügen wird. Nun, auch dies wird nicht vermeidbar sein. Aber umso sparsamer wir mit dem Schnaps umgehen, umso mehr haben die Ingenieure Zeit, für unsere Folgegenerationen Antriebe zu erfinden, welche von Erdöl und damit von den Kameltreibern unabhängig sind. Sofern uns die Vulkane nicht vorher ersticken.

So. Nun zur Praxis. Wie spare ich Schnaps. Ganz einfach. Indem ich mir vorstelle, ein Velofahrer zu sein. Würde ein Velofahrer seine Muskelkraft vergeuden? Indem er bergab auch strampelt? Oder indem er volle Kanne auf die Kreuzung zubrettert, um dann im letzten Moment zu stoppen, Füsse auf den Boden, gucken, und wenn frei, wieder unter grossem Kraftaufwand lostreten? Von diesem Beispiel ausgenommen sind natürlich die Gummistrampelhöschen. Die brettern vollgas auf die Kreuzung, nein, ÜBER die Kreuzung. Der Andere guckt dann schon. Und die strampeln auch bergab. Aber die sind auch mit Doping zugenebelt. An anderer Stelle habe ich mal über diese Gilde geschrieben.

Nun haben Trucks und Busse noch einen entscheidenden Vorteil: Das Gewicht. Einmal auf Reisegeschwindigkeit beschleunigt, kann ich getrost Gas wegnehmen: Meine 40 Tonnen schieben mich meilenweit gratis! Die Energie, welche ich für die Beschleunigung aufwänden muss, steht in keinem Verhältnis zum Gewinn! Wenn ein Trucker vorausschaut, kann er bei einem Rotlicht, einem Kreisel, einem Bahnübergang oder einer Kreuzung so früh vom Gas weg, dass der Truck einige hundert Meter gratis an das Ereignis rollt. Geschickt mit dem Retarder umgegangen, wird nicht mal die Bremsscheibe angewetzt. Man kann das sogar auf den PKW übertragen. Wieso haben wir im Auto die Angewohnheit, bis zum Bremsvorgang an einer Kreuzung stur auf dem Gas zu bleiben? Wieso gucken wir nicht einfach ein bisschen weiter voraus und lassen das Auto dann rollen? Naja, weils halt nicht so lässig-sportlich tönt und aussieht.

So, und nun üben wir das mal. Wir stellen ein Glas Wasser auf die Mittelkonsole und fahren einen Parcours von 16 Kilometern, bergauf, bergab, Kreuzungen, Ampeln, ausserorts und innerorts. Kein Tropfen darf überschwappen. Und dann: Geschafft! Die Messgeräte zeigen einen stark reduzierten Schnapsverbrauch und das elektronische Pendel zeigt noch einen weiteren, fast ungeahnten Vorteil auf: Die Kotz-Quote in einem Bus wäre auf praktisch null gesunken, weil die Fahrweise nahezu frei von Lastwechseln, Brems- und Beschleunigungskräften war. Und nun staune man: Die erste Runde fährt man im Kurs so, wie man es immer tat. Die zweite Runde nach allen Regeln der Kunst und eben mit dem ominösen Glas Wasser. Die zweite Runde dauerte in meinem Fall gerade mal 35 Sekunden länger!!! Wieviele Stress-Kilojoule ich dabei eingespart habe, konnte leider nicht auch noch gemessen werden, aber auch dieser Faktor dürfte - auf einen ganzen Arbeitstag hochgerechnet - immens sein. Daher: Free Eco-Drive-Training für jeden PW-Fahrer!
Anhang: Der Eco-Drive-Kurs für Trucker beinhaltet - je nach Anbieter - zusätzlich zahlreiche technische Details wie etwa die Funktionsweise des Wandlers in Automatik-Getrieben, das Ad-Blue-System bei Euro5 Aggregaten etc.