Dienstag, 17. März 2009

Einblick in die Novartis-Mentalität

Letzten Dienstag hatte ich das zweifelhafte Glück, eine Komplettladung an die Novartis Sankt Joseph in Basel liefern zu dürfen. Mangels Ausschilderung der Warenannahme in diesem gigantischen Firmenareal (siehe Bild) folgt der ortsunkundige Trucker dem Schild "Novartis Campus". Dort befindet sich tatsächlich ein Tor mit Portier - aber auch ein LKW-Verbot. Der "Campus" ist offenbar der Eingang für die höheren Kader von Novartis, zumindest anhand der dort anzutreffenden Kravattendichte. Der freundliche Portier erklärte mir aber sehr routiniert den Weg zum Zentralmagazin, was mich allerdings mitten auf dem Platz zu einem Wendemanöver mit meinem Anhängerzug nötigte.

Offenbar fühlte sich ein kravattierter BMW-Offroader-Fahrer bei seiner Einfahrt in den "Campus" durch meinen Truck etwas behindert, was ihn beim Kreuzen veranlasste, mich mit "you are an asshole!" zu begrüssen. Nachdem ich diesem Schlipsfritz auf die selbe Art und in der selben Sprache meinerseits einen guten Tag wünschte, überlegte ich mir, ob dieser wohl ein Exemplar jener ach so wertvollen, gut ausgebildeten Immigranten ist, welche den Beführwortern der Freizügigkeit die Argumentation lieferten und ohne die wir Schweizer ja ach so arm dran wären. Wenn ja, dann geraten vor allem Linke in einen Gewissenskonflikt: Handelt es sich hierbei um die von Linken fast vergötterte Arroganz der Konzerne und des Kapitals, oder ist dieser Schnösel lediglich ein armer reicher Immigrant, der sich mit unseren Gepflogenheiten halt noch nicht so gut auskennt?
So oder so, ich stehe dazu, dass sich meine Abneigung gegen die Freizügigkeit seit vergangenem Dienstag noch ein wenig intensiviert hat. Ferner fragte ich mich, was diesen Kravattenständer veranlasste, so die Kontrolle über sich zu verlieren. Und da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wie wär's mit mit einem zu hohen Konsum von Novartis-Produkten? Unsinn; bleiben wir ernst.
Eine Möglichkeit besteht darin, dass besagtes Alphatierchen ein Morgenmuffel ist. Es war ja schliesslich auch erst etwa halb Zehn, und es ist hinlänglich bekannt, dass dies für etliche Büroheinis noch mitten in der Nacht ist. Ist ja auch wahr: Da stürcheln hunderte rotgekleideter UNIA-Funktionäre durch die Produktionshallen und heulen auf, wenn ein Arbeiter schmutzige Finger bekommt. Aber wenn Herr Vasella die unmenschliche Unverfrorenheit besitzt, seine Kaffe-und-Gipfeli-Sitzungen in aller Hergottsfrühe um Zehn anzusetzen und auch noch Pünktlichkeit erwartet, dann ist das den UNIA-Typen egal. Da muss man ja jemanden als Arschloch betiteln.
Es könnte auch sein, dass Schlippsie pikiert war, weil er "nur" einen BMW-Offroader statt einen Porsche Cayenne als Firmenwagen zur Verfügung gestellt bekam. Das weist ihn nämlich lediglich als mittleres Kader aus, wenn man SRG Idée Suisse als Referenz nimmt. Besonders schmerzlich ist diese Erkenntnis, wenn man bedenkt, dass das Fahrzeug, welches ich an jenem morgen durch den "Campus" steuerte, teurer ist als BMW und Porsche zusammengezählt. Und dass der BMW aus der Perspektive des Trucks ein Kleinwagen ist, dem man vom Fahrersitz aus die Hagelbeulen auf dem Dach zählen kann. Grund genug, den Fahrer des Trucks als Arschloch zu betiteln.
Doch am wahrscheinlichsten ist folgende These: Der Novartis-BMW-Mittelkader-Kravattenständer generiert durch Massnahmen zur Gewinnmaximierung, Optimierung des Shareholder-Values, unpopuläre Entscheidungen, pragmatisches Vorgehen und unglaublich vielen Business-Lunches ungleich mehr Wertschöpfung als etwa ein Trucker, der so gemütlich ein bisschen seine Runden dreht, einem aus reinem Spass hin und wieder in den Weg steht, sich gelgentlich mal ein Elefantenrennen genehmigt und sich ansonsten ein schönes Leben gönnt. Und wer so genial und global wichtig ist wie Nadelstrefen-Charly, dem fällt Bescheidenheit zuweilen schwer. Ja, das ist schliesslich der Manager-Stress, wenn mal wieder das Patent für ein Medikament abgelaufen ist und die Alte auch noch Migräne hatte. Und dann kommt einem noch so ein tätowierter Trucker geschliffen, bloss weil man ihn als Arschloch betitelte!
Das Schöne an der ganzen Sache ist: Bei Novartis-Kaderleuten weiss man offenbar stets, woran man ist. Und was man von letzteren halten muss. Wenn sich dereinst bei mir die typischen Trucker-Beschwerden wie Rückenprobleme und dergleichen bemerkbar machen, kann ich nur hoffen, dass mich Novartis als Kunden oder Patienten und nicht als Arschloch bezeichnet.