Samstag, 17. Januar 2009

Stossverkehr


Es ist erstaunlich, aber selbst ich als Trucker ertappe mich gelegentlich dabei, den Grünen einen Funken Recht zu geben. Insbesondere dann, wenn es um den motorisierten Arbeitsweg geht.
Wenn Sie in einem romantischen, abgelegenen Bündner Bergtal wohnen und in Chur arbeiten, dann wird jeder Verständnis haben, dass Sie mit dem Auto zur Arbeit fahren, auch wenn Sie einen Offroader steuern. Denn gerade im Winter hat der Vierradantrieb seine Vorteile.

Aber wenn Sie in Thalwil oder an der Goldküste wohnen und in der Stadt Zürich arbeiten, verbraten Sie wertvollen Brennstoff und Nerven für nichts und wieder nichts. Wenn ich das Pech habe, in der verkehrstechnisch onehin katastrophal organisierten Umgebung Zürich (oder auch Lausanne) zu arbeiten, erlebe ich einen Stossverkehr, der mich an Kairo oder Mumbay erinnert. Ausser dass man hier statt Rostlauben vorwiegend drängelnden und kravattierten Audi-Fahrern begegnet.

Interessant sind dabei zwei Beobachtungen. Zum einen riskieren diese Bürogummis Blech und Geld, nur um himmels Willen VOR dem LKW im Stau zu stehen, obschon man so keine Sekunde schneller ist. Dafür wird gedrängelt und ausgebremst, dass man schon befürchtet, die Kravatte hätte die Sauerstoffzufuhr ins Gehirn abgeklemmt. Zum anderen wechseln die Pendler auf einer doppelspurigen Strasse umgehend die Spur, sobald die eine etwas schneller rollt. Dass dies idiotisch ist (eine halbe Minute später rollt nämlich die andere Spur wieder schneller) und den Stau noch künstlich verlängert, gehört wohl definitiv nicht zum Lernstoff im KV.

Hier sei noch eine Frage erlaubt. Wieso steckt man selbst um neun Uhr Morgens noch immer im Stossverkehr? Hallo, müssten Sie da nicht schon längst im Büro sein, zumal ich Sie ja bereits um 17.00 auf der Gegenfahrspur wieder beobachte, wie Sie und Ihresgleichen den nächsten Stau verursachen?

Zurück zu den Grünen. Jeder sitzt bekanntlich allein in seinem Auto, welches aber eigentlich fünf Personen fassen würde (ausser dem Smart, den wir hier mal nicht als Auto bezeichnen wollen). Würde man konsequent Fahrgemeinschaften machen, wäre der Stossverkehr Geschichte. Auf den Strassen wären nur noch jene, die dies tatsächlich müssen: Trucks, Aussendienstler, Handwerker. Auf den Freeways in den USA gibt es Fahrspuren, die nur von Autos mit drei oder mehr Insassen benützt werden dürfen. Wäre doch ein Ansatz, oder?

Noch besser aber ist der ÖV. In keinem Staat der Welt ist dieser besser ausgebaut als in der Schweiz. Ich habe einige Jahre zwischen der Zentralschweiz und Zürich gependelt (und nehme noch heute in der Freizeit kaum einen Autoschlüssel in die Hand) und den ÖV trotz gelegentlichem Andrang sehr genossen. Stellen Sie sich vor: Der Feierabend beginnt direkt beim Ausgang Ihrer Bude. Sie fahren wohl noch stehend mit der S-Bahn von Hardbrücke in den HB, dann besteigen Sie den bequemen Interregio, öffnen Ihr Zweierli oder Ihr Bierchen, lesen ein gutes Buch und schlagen dies vor Ihrem Haus wieder zu. Kein Stau, kein Stress und kein Trucker, der in seinem Blog gegen pendelnde Kravattenständer wettert.